Zersetzung
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Psychofolgen bis heute: "Zersetzungs"-Opfer der DDR-Geheimpolizei
Als vierte Phase fasst Maercker (1995) die Zeit nach der Friedlichen Revolution von 1989 bis heute mit einer Überversorgung der Täter und einer Unterversorgung der Opfer.
Zersetzung und politische Haft
Die DDR war in einem so umfassenden Maße geheimpolizeilich überwacht, wie noch keine andere europäische Gesellschaft zuvor. Private und öffentliche Personen gleichermaßen waren inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Sie bespitzelten und wurden bespitzelt. Ein feines Netz aus Misstrauen, Kontrolle und Angst entstand.
Spitzelaufträge, die in den Wahnsinn treiben konnten: MfS-Strategie aus dem Jahr 1976 für einen Ehemann, der seine Frau aushorchen sollte. Das Dokument wurde zerrissen in einem Papiersack mit zur Verbrennung vorgesehenen Stasiakten gefunden und in der Stasi-Unterlagen-Behörde rekonstruiert. (© DVD BStU-kompakt)
Die Überwachung der Privatheit wurde nicht selten von Menschen durchgeführt, die Teil dieser Privatheit waren. "Zersetzung" bezeichnet eine Methode des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR zur Bekämpfung vermeintlicher und tatsächlicher Gegner vor, während, nach oder an Stelle einer Inhaftierung. Die Zersetzung war ein rein psychologisches Unterdrückungsinstrument, welches das Selbstwertgefühl des Menschen untergraben, Panik, Verwirrung und Angst erzeugen sollte. Zersetzung setzte die Allmacht des Staates über Gesellschaft und Individuum voraus. So waren auch alle Zweige des Staatsapparates prinzipiell zur Zusammenarbeit mit dem MfS verpflichtet.
Die Mitarbeiter der Stasi setzten zunächst im privaten Umfeld des vermeintlichen Staatsfeindes an. Die Zielperson sollte zunächst in ihrem persönlichen Erleben verunsichert werden. So brachen Stasileute mehrmals heimlich in die Privatwohnung ein, entfernten nach und nach Gegenstände oder stellten sie um – damit der Bewohner allmählich anfing, an seinem Verstand zu zweifeln. Telefone wurden abgehört, Wohnungen zu Abhörzwecken verwanzt.
Gezieltes Eindringen in das persönliche Umfeld
Auch das Eindringen in persönliche Beziehungen gehörte zum Repertoire der Stasi. Dabei ging es um und die Zerstörung der privaten und familiären Beziehungen.
Durch gestreute Gerüchte, etwa über angebliche außereheliche Beziehungen, sollte Misstrauen geschürt werden. Darüber hinaus wurden durch Diffamierungen und Benachteiligungen berufliche Misserfolge organisiert. Bei feindlichen Gruppen zielte die Zersetzung auf Zersplitterung, Lähmung und Desorganisation, bei einzelnen Personen auf soziale Isolierung, psychologische Verunsicherung und öffentliche Rufschädigung. Die Zersetzungsmaßnahmen waren immer auf die besondere Persönlichkeitsstruktur der Zielperson ausgerichtet, fokussierten auf die jeweiligen Schwachpunkte der sogenannten "Feinde des Sozialismus".
Nur wenige Tage nach Erteilung seines Spitzelauftrags als Ehemann, der seine eigene Frau aushorchen soll, berichtet der IM seinem Führungsoffizier, dass er die "gemütliche Atmosphäre" zuhause und die "freudige Stimmung" seiner Ehefrau effektiv zur Informationsgewinnung nutzen konnte. Für die Opfer eine schockierende Erfahrung: Die Loyalität gegenüber dem Führungsoffizier war größer, als zur eigenen Familie. (© DVD BStU-Kompakt)
Ziel war es, den Betreffenden zur permanenten Beschäftigung mit sich selbst zu veranlassen, die Persönlichkeit Andersdenkender und der Gegner des Sozialismus durch die psychische Zersetzung grundlegend zu destabilisieren und feindliche Ideologien zu bekämpfen (Behnke & Fuchs, 1995). Dies wurde soweit betrieben, dass sich manche der Betroffenen das Leben nahmen.
"Die Folgen dieser denunziatorischen Zerstörung von Vertrauen und Solidarität in Gruppen bzw. von Selbstvertrauen, beruflichen und gesellschaftlichen Entwicklungschancen waren für die Betroffenen mitunter katastrophal, gerade weil sie psychologisch ausgeklügelt, im geheimen Zusammenwirken des MfS mit ihren inoffiziellen Mitarbeitern sowie staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen umgesetzt wurden und teilweise noch bis heute nachwirken" (Süß, 1999, S. 684).
Zersetzungsmaßnahmen außerhalb der Haftanstalten haben oftmals zu schweren psychischen Schädigungen geführt (vgl. Pingel-Schliemann, 2002). Auch wenn die Inhaftierung eine erschreckende Angelegenheit war, wusste der politisch Verfolgte nun zumindest, woran er war. Reine Zersetzungsopfer litten unter ständigen Verunsicherungen, Übergriffen und permanenter Ungewissheit.
Stasi-Lehrthema "Operative Psychologie"
Die staatlich geplante Zersetzung basierte auf Konzepten der "Operativen Psychologie". Dieser Begriff wurde durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR geprägt. Im Januar 1976 erließ der Minister für Staatssicherheit eine Richtlinie (Nr.1/76) "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" (OV), sie definierte Zersetzungsmaßnahmen. Dabei griff der staatliche Sicherheitsapparat auf wissenschaftliche Methoden der Allgemeinen, Sozial- und Klinischen Psychologie und benachbarter Gebiete zurück, die gezielt zweckentfremdet wurden (Behnke & Trobisch, 1998).
Am Lehrstuhl für operative Psychologie in Postdam-Golm lernten Führungsoffiziere psychologische Methoden der Geständnisgewinnung in U-Haft, Methoden der Bespitzelung im In- und Ausland und Strategien, IMs (inoffizielle oder informelle Mitarbeiter) zu gewinnen sowie auf Jugendliche einzugehen und deren Vertrauen zu erringen.
Psychologisches Lehrmaterial der Stasi-Hochschule Potsdam-Golm "über 'Objekte' tschekistischer Arbeit". Durch den Begriff "Objekte" wurden Feindpersonen entmenschlicht. Das sollte Stasi-Bedienstete von Skrupeln befreien. (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V.)
Perfektioniert, weil konzentriert, hat das MfS jedoch seine Zersetzungsmaßnahmen in den Untersuchungsgefängnissen eingesetzt.
Vor der Inhaftierung war in der Regel eine gewisse Zuspitzung in den Repressionen zu beobachten. Die Verhaftung erfolgte überfallartig meist ohne Vorwarnung. "Eine nicht genau zu schätzende Anzahl von Inhaftierten wurde überraschend und plötzlich verhaftet, wobei hier immer wieder eine Tendenz zu besonders intensiv ausgeprägten psychischen Folgeerscheinungen berichtet wird" (Freyberger et al., 2003). Der Verhaftete wurde stundenlang in einer winzigen Zelle in einem dunklen Transporter umher gefahren, bis er die Orientierung verloren hatte. Dann folgte plötzlich blendende Helligkeit, vollständiges Ausziehen, peinlich genaue Kontrolle sämtlicher Körperöffnungen, der Verlust des Namens im Tausch gegen eine Nummer, Einsperren in eine karge Zelle. Innerhalb der berüchtigten Untersuchungshaftanstalten der Staatsicherheit stand dann die Isolationshaft mit bestimmten Verhörmethoden im Zentrum. In der Isolationshaft wurden Gefangene in eine kahle Zelle, 2 mal 3 Meter, schallisoliert und ohne Fenster gesperrt. Tag und Nacht brannte grelles Neonlicht. Außer einer Pritsche mit einer Wolldecke, und einem stinkenden Kübel gab es in der Zelle nichts, keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit. Die Regeln waren: Absolute Kontaktsperre nach draußen, Liegen auf der Pritsche nur nachts, keine Selbstgespräche, keine sportliche Betätigung, maximal fünf Schritte Gehen in jede Richtung.
Gezielt erzeugte Angstzustände und völlige Resignation
Die Stasi verfügte auch über 17 eigene Untersuchungshaftanstalten. Inhaftierte wurden dort lange im Unklaren gelassen, welcher Vergehen man sie konkret anklagen wollte und wie hoch ihre Strafen sein würden. Ziel war, sie psychisch zu zermürben. (© BStU (MfS, ASt. Gera, Abt. XIV 34, Bild 12))
Durch einen "Spion" in der Tür konnten Wärter das Verhalten jederzeit kontrollieren. Die Gefangenen waren der völligen Reizdeprivation preisgegeben. Je nach persönlicher Labilität treten in solchen Fällen bereits nach 48 Stunden Isolation deutliche Symptome auf: Verlust des Raum- und Zeitgefühls, Unvermögen, logisch zusammenhängend zu denken, Apathie, Depression, plötzliche Panikattacken bis hin zu schweren Halluzinationen. Ohne Sinnesstimulation aus der Umwelt droht dem Individuum die Gefahr, dass die Grenzen des Ichs verschwimmen. Auf diese Erfahrung reagierten viele Gefangene mit Angstzuständen oder völliger Resignation (Trobisch-Lütge, 2004). Zusätzlich wurden medikamentöse Manipulationen in der Haft vorgenommen. Manchmal mussten Gefangene so wochenlang auf ihr Verhör warten. Der einzige menschliche Kontakt war eine starrende, bedrohlich wirkende, anonyme Pupille.
Diese gezielte Isolation hatte System. Auch auf den Wegen zum Verhör wurde durch ein strenges Kontrollsystem darauf geachtet, dass Gefangene keinen anderen Inhaftierten zu Gesicht bekamen. Viele Gefangene berichteten, dass sie den quälenden Eindruck in sich verspürt hätten, sich nach Verhören zu sehnen. Es sei zu einer inneren Annäherung an die Peiniger gekommen. In der Stasi-Haft wurden bewusst Situationen der Ausweglosigkeit kreiert und das Gefühl extremer Hilflosigkeit erzeugt. Dieses Vorgehen wurde dann in den Vernehmungen der verfolgten Person mit staatsideologischen und pseudo-moralischen Abwertungen kombiniert. Damit sollten persönliche Beziehungsmuster dauerhaft verändert und der Glaube an die eigene Wahrnehmung gestört werden. Zudem sollte der Gefangene moralisch korrumpiert werden, indem er irgendwann zum Verrat von Informationen über andere Personen bereit war. Opfer von psychologischer Folter, wie sie regelhaft bei politisch Inhaftierten in der Ära Ulbricht und der Ära Honecker in der ehemaligen DDR zur Anwendung gekommen ist, waren also komplexen und aversiven Reizmustern ausgesetzt. Es kam zu Erniedrigungen, sowie zu traumatischen Bindungen an psychologisch gewiefte Vernehmer, die es verstanden, bei den Gefangenen Gefühle absoluter Ausweglosigkeit und Ohnmacht zu erzeugen. Verunsicherung in Hinblick auf das Wohl der eigenen Familie oder von politischen Freunden wurde bewusst herbeigeführt.
Auch sexuelle Übergriffe auf politische Gefangene
Nach dem so erfolgten Erzwingen von Geständnissen kam es zur Verurteilung und Einweisung in die berüchtigten Zuchthäuser der DDR. Dort kam es regelhaft zu gewaltsamen, auch sexuellen Übergriffen auf politische Gefangene. Diese wurden häufig mit Schwerstkriminellen zusammengelegt. Häufig waren die politisch Inhaftierten Übergriffen des brutalen Wachpersonals ausgeliefert, das auch Koalitionen mit kriminellen Mitgefangenen einging. So wurden auch bei erzwungener Gefängnisarbeit kriminelle Mitgefangene zur Beaufsichtigung der politischen Gefangenen abgestellt (vgl. Sachse, 2014). Bei politisch Verfolgten der SED-Diktatur können sich also folgende Belastungen addieren:
Bespitzelung und Überwachung, Einbringen von Zersetzungsmaßnahmen mit dem Ziel der Verunsicherung und persönlichen Destabilisierung (Fuchs, 2009),
Erzeugung tiefer Schamgefühle,
Verhaftung und Isolationsfolter in der Untersuchungshaft der Staatssicherheit (Zahn, 2005),
Trennung von Partner und Kindern,
Sorge um das Wohl der eigenen Familie,
Bedrohungsgefühle und Ängste um das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit in Zusammenhang mit Angriffen auf die psychische und physische Gesundheit durch andere Häftlinge und/oder Gefängnispersonal bei nachfolgender Inhaftierung in einem Zuchthaus,
Erzwingen von Gesundheit gefährdender Gefängnisarbeit, die von zivilen Arbeitern abgelehnt wurde; bei Nichtnormerfüllung weitere Bestrafung (Knorr, 2014)
Retraumatisierungen durch Haftentlassung in die ehemalige DDR mit weiterer Überwachung
Retraumatisierungen nach der Wiedervereinigung (z.B. Begegnungen mit ehemaligen Vernehmern),
massives Unrechtsempfinden in Zusammenhang mit versorgungsrechtlichen Entscheidungen (Siegmund, 2002).
Einige der erwähnten Belastungsfaktoren werden auch als Methoden psychischer Folter definiert (Gurris & Wenk-Ansohn, 2009). Heutzutage weiß man, dass diese erwiesenermaßen nicht weniger traumatisierend als physische Folter ist.
Verlängertes Inhaftierungsgefühl
Nach beendeter Inhaftierungszeit spielte eine zentrale Rolle, ob die Betroffenen in den Binnenraum der DDR entlassen wurden, oder direkt in die damalige Bundesrepublik Deutschland kamen. Von vielen Verfolgten ist von einem verlängerten Inhaftierungsgefühl nach Entlassung aus der Haft in die DDR berichtet worden (vgl. Behnke, Trobisch, 1998). Es wurde oft von weiteren Überwachungsmaßnahmen bzw. "erzieherischen Einflüssen« der Staatssicherheit berichtet. Nach der Haftentlassung war für eine Verfestigung der traumatischen Erfahrung entscheidend, ob es weitere familiäre Bindungen an die DDR gab, eventuell Angehörige zu leiden hatten. Besonders eklatante Beispiele sind die Zwangsunterbringungen der Kinder von inhaftierten oder ausgewiesenen Systemgegnern.
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